Atari TT 030

Der Atari TT030 war das schnellste System, das Atari jemals gebaut hat. Der Aufstieg vom bis zu diesem Zeitpunkt meist verwendeten Motorola 68000-Prozessor zum 32-bittigen und erheblich leistungsfähigeren 68030, gepaart mit der Erweiterung der exitistierenden ST-Grundtechnologie um sinnvolle Neuerungen, führte zur Entwicklung dieses damaligen Spitzenmodells, mit dem sich Atari endlich ein wichtiges Stück im Markt der professionellen Anwender sichern wollte.

Atari hatte schonlange vor der endgültigen Markteinführung des TT mit der Entwicklung eines neuen, leistungsstärkeren Rechners begonnen. Die Planung basierte zu Anfang auf dem MC68020-Prozessor, der intern wie extern mit 32 Bit Breite arbeitete und damit die optimale Wahl für ein aktuelles System war. Als sich zwischenzeitlich dann der Nachfolger des 68020, der MC68030, mit höheren Taktfrequenzen und nochmals besseren Merkmalen durchsetzte, entschied sich auch Atari für den "030er" als Zentrale des neuen Computers - mit einschneidenden Konsequenzen für das fast fertig entworfene System. Die ursprünglich geplante Geschwindigkeit von 16Mhz war aus Kompatibilitätsgründen mit den exisiterenden ST-Chips festgelegt worden, die auch im TT verwendet werden sollten. Der Video- und der DMA-Chip konnten z.B. maximal 16Mhz verkraften, also mußte das Design angepaßt werden, um den Betrieb auch mit einem auf 32Mhz getakteten 68030 zu ermöglichen. Der Systembus-Takt wurde auf 16Mhz zurückgefahren, während der Prozessor weiterhin mit vollen 32Mhz betrieben wurde; ein relativ aufwendiges System von Caches sorgte für die gegenseitige Anbindung. Zumindest CPU-intensive Anwendungen profitierten damit noch vom schnelleren Takt des Prozessors.

Der TT030 kennt zwei verschiedene Arten von Hauptspeicher: das "ST-RAM", auf das neben dem Prozessor auch die anderen Chips zur Erledigung ihrer Aufgaben zugreifen können, und das sog. "TT-RAM", bei dem sich die CPU den Zugriff mit (fast) keinem anderen Konkurrenten teilen muß und das deswegen auch als "FastRAM" bezeichnet wird. (Auch über den VMEbus kann im Prinzip noch zusätzlicher Speicher eingebunden werden, dieser ist aber wiederum deutlich langsamer als das TT-RAM und erlaubt z.B. keine SCSI-DMA-Zugriffe.) In der Minimalkonfiguration wurde der Atari TT030 mit nur 2 MB ST-RAM ausgeliefert, der (seltene) "TT030/8" kam sogar mit 8 MB Speicher auf der Hauptplatine. Durch die neueingeführten unterschiedlichen RAM-Typen entstanden allerdings auch gelegentlich Kompatibilitätsprobleme, die durch unsauber programmierte Software hervorgerufen wurde. Zumindest war bei einer theoretischen Maximalausstattung mit 26 MB ST-RAM und bis zu 256 MB TT-RAM nicht mehr mit Speichermangel zu rechnen und ein gewisser Grad an Zukunftssicherheit gegeben.

Ein großer Vorteil des TT030 sollten seine verbesserten Fähigkeiten und Schnittstellen werden. Endlich wurde der proprietäre Monitoranschluß der ST-Serie abgelöst, am TT befand sich eine gewöhnliche VGA-Buchse. Leider war das darüber ausgegebene Signal nicht ganz standardkonform, so dass viele VGA-Monitore nur ein verschobenes oder zumindest kein flächendeckendes Bild produzierten. Eine optimale Darstellung war nur mit originalen Atari-Monitoren möglich. Das galt auch für die maximale Auflösung von 1280 x 960 Punkten, die über getrennte Pins der Videoschnittstelle mit ECL-Signalpegeln ausgegeben wurde und damit nur mit einem aufwendigen Adapter auf einem Multisync-Monitor angezeigt werden konnte. Abhilfe war nur mit einer teuren Grafikkarte zu schaffen.

Neuerungen waren auch ein LAN-Port (wie Localtalk von Apple), der VME Expansion Bus und eine "echte" SCSI-Schnittstelle (intern und extern), während die bewährten Schnittstellen der ST-Serie (MIDI, Modul- und ACSI/DMA-Port) beibehalten wurden. Dem Ganzen wurde dann auch noch eine neue Version des Atari TOS-Betriebssystems im ROM spendiert (V3.01, später V3.05 und V3.06). In Anbetracht der Änderungen fiel dann auch der Verzicht auf den "Blitter"-Baustein leicht; Atari ging davon aus, daß der Grafik-Hilfschip in Anbetracht der zusätzlichen Prozessor-Power verzichtbar wäre.

Auch im Design ging Atari neue Wege: der eher schlicht-spröde "Charme" der Mega ST-Gehäuse wich einem stufigeren, eleganteren Aussehen, das Gehäuse wurde durch die eingebaute Festplatte breiter. Die externe Tastatur wurde beibehalten, ihr Aussehen allerdings entsprechend angepaßt. Sogar die Gehäusefarbe wurde deutlich aufgehellt und fast in ein creme-weiß geändert. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß der TT schnell den Spitznamen "Butterdose" bekam - zusammen mit dem C64-"Brotkasten" wäre da der Frühstückstisch schon fast komplett. Wiederverwendet wurde der neue Look übrigens später nochmal beim Mega STE, der allerdings wieder im schlichten "Atari-mausgrau" daherkam...

Trotz aller überzeugenden Neuerungen, der TT030 konnte sich nicht die erhofften Marktanteile erobern. Bei seinem Erscheinen 1990 gab es bereits schneller getaktete Prozessoren (bis 50Mhz), der 68040 stand in den Startlöchern, und das magische Wort "Multitasking" machte die Runde - drei Dinge, mit denen der Atari TT nicht dienen konnte und die ihn deshalb (zumindest auf dem Papier) anderen Workstations deutlich unterlegen erscheinen ließen. Erst 1993, drei Jahre nach der Markteinführung, wurde zumindest Multitasking mit dem "MultiTOS" verfügbar, zu spät für einen wirklichen Erfolg. Selbst das von Atari entwickelte Unix für den TT030 konnte daran nichts ändern, zumal man es nach langer Entwicklungsphase erst Mitte 1992 auf den Markt brachte; bereits zum Jahresende '92 stellte Atari die Unix-Entwicklung wieder völlig ein, Anwender konnten kaum noch Support erwarten.

Selbst wenn sich der Atari TT heute noch gelegentlich in manchen Firmen im Einsatz befindet: den Angriff auf den breiten Markt der professionellen Anwender und Firmenkunden konnte Atari mit diesem letzten Versuch nicht gewinnen. Wie bei anderen Herstellern haftete auch Atari lange der Ruf einer Spiele- und Heimcomputerfirma an, falsches Marketing kam dazu. Letztendlich hatte man gegen die aufkommenden PC- bzw. Mac-kompatiblen Systeme damit kaum eine Chance; der Heim-Markt wurde durch den Business-Markt erobert, nicht andersherum.

(Herzlichen Dank an Frank Perrey für seine Ergänzungen)